Der "Normalfall" in § 35 BauGB
Voraussetzungen
Die wichtigsten Voraussetzungen sind:
● bestehendes, zulässigerweise errichtetes Wohnhaus; nach der Rechtssprechung gilt das auch für Wohnhäuser, die nicht bundesrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen entsprechen (BVerwG, Beschluss vom 16.1.2014 - 4 B 32.13);
● bisheriges Dauerwohnen, damit nicht: Wochenendhaus, Jagdhütte, Notunterkunft etc.;
● keine Umnutzung bisher anders genutzter Gebäude, z.B. gewerblich genutzter;
● Wohnnutzung bisher nicht aufgegeben, da sonst der Bestandsschutz erloschen ist (BVerwG, Urteil vom 3.8.2016 - 4 C 3.15); hierbei greift aber ein "Zeitmodell", nach dem mit der Wiederaufnahme der bisherigen Nutzung zu rechnen ist (bei mehr als zwei Jahren besondere Gründe erforderlich);
● zulässig nur Erweiterung, kein durch Verbindungsbau abgesetzter Anbau;
● Erweiterung muss Dauer-Wohnen dienen; Erweiterung um Ferienwohnung damit nicht zulässig;
● bei einer Erweiterung auf eine zweite Wohnungen: deren Eigennutzung auch durch die Familie.
Erweiterung vorhandene Wohnung (Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 b)
35 Abs. 4 Nr. 5 sieht die "Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen" vor. Die "Erweiterung" ist auch (nur) auf eine (1) vorhandene Wohnung zu beziehen, da mit dem "bis" klargestellt ist, dass damit auch die eine, vorhandene Wohnung gemeint ist.
Hierbei darf keine neue, abgeschlossene Wohnung entstehen (Küche, Toilette, Wohnraum), schon gar nicht ein Hauseingang dafür, sondern nur angebaut oder aufgestockt werden.
Auch ohne die Kubatur durch Anbauten oder Aufstockung zu ändern, ist damit z.B. ein Dachgeschossausbau möglich. Da das "Wohngebäude" danach bemessen wird, was die Hauptfunktion des Gebäudes ist, ist damit auch die Nutzung bisher anders genutzter Räume, z.B. einer ehemaligen Werkstatt oder einer ins Haus integrierten Garage, möglich.
Da zunächst die Nutzung durch den bisherigen Eigentümer (oder seine Familie) nicht Voraussetzung ist, kann auch ein Erwerber das Wohngebäude für den Bedarf seiner Familie angemessen erweitern. "Angemessen" heisst einerseits: für den Bedarf der Familie (nicht für ein Luxus-Bedürfnis), und anderseits: "baulich angemessene" Erweiterung. Für beide "Angemessenheiten" gibt es keine "mathematischen" Bestimmungen; aber aus einem 50 qm-Notbau wird keine Villa mit 130 qm, und Einzelkinder brauchen auch keine 25 qm Kinderzimmer (wer würde da auch immer wieder aufräumen ...).
Erweiterung um eine weitere Wohnung (Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 c)
35 Abs. 4 Nr. 5 sieht die "Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen" vor. Die Erweiterung auf bis zu höchstens zwei Wohnungen hat zur weiteren Voraussetzung, dass die Weiternutzung beider Wohnungen durch die Familie anzunehmen ist. Die Probleme mit der Altbausubstanz bleiben die gleichen - die muss weitgehend erhalten bleiben.
Dabei wird in der Regel von einem Gebäude mit einem Hauseingang ausgegangen. Der Anbau eines Hauses, mit im Ergebnis zwei getrennten Eingängen, gilt aber als Doppelhaus, was bei Baugenehmigungsbehörden auf Schwierigkeiten stößt. Denn "Doppelhaus" heisst auch getrennte Garten- und Freiraumnutzung, auch mit der Abtrennung eines eigenen Grundstücks. Damit ist zu erwarten, dass die zweite Haushälfte irgendwann nicht mehr von der eigenen (engeren) Familie bewohnt wird, also die Voraussetzungen von § 35 Abs. 4 unterlaufen werden.
Eine solche Erweiterung setzt aber auch die Abgeschlossenheit beider Wohnungen gegeneinander voraus, was von den Grundrissen oft schwierig ist. Hier sind dann auch die maximalen Größen von 70 bzw. 130 qm Wohnfläche problematisch, was z.B. gleich große, übereinanderliegende Wohnungen in der Praxis auf 100 qm für jede limitiert.
Was denn dann schon eine zweite Wohnung ist oder mit einigen nachträglichen Veränderungen schnell eine werden könnte, wird von der Baubehörde sehr schnell erkannt. Da reicht schon mal, dass baulich in einer Ecke Frisch- und Abwasseranschlüsse vorgesehen werden, selbst wenn es nur als Teeküche im homeoffice deklariert wird. Damit lassen sich also die Wohnflächenbeschränkungen nicht aushebeln.
Die Erweiterung um eine zweite Wohnung ist nur im oder am vorhandenen Gebäude möglich. Die Erweiterung muss zusammen mit dem Altbau als ein (1) Gebäude erkennbar sein. Dabei wird man - wenn der Platz reicht - solche Erweiterungen auch eher als Verlängerung des Althauses entwickeln, eher nicht als Aufstockung. Ein gemeinsamer Eingang bewahrt vor der "Doppelhausfalle".
Andere Fälle nach § 35 BauGB
Abs. 1: Betriebsleiterwohnung (Landwirtschaft)
Nach einer Ermittlung des Landratsamts Pfaffenhofen liegt bereits 2005 die Wohnfläche von Betriebsleiterhäusern bei 170 m², die von Austragshäusern bei 110 m² - wie bei einem "normalen" Wohnhaus (Pfaffenhofener Kurier, 22.5.2005: Wie groß darf die Wohnbebauung im Außenbereich sein?).
Da kommt bei einem "Normalhauseigentümer" selbstverständlich der Neid auf, insbesondere bei größeren Familien, Freiberuflern und neuerdings Homeoffice. Jedoch sind "Bauernhäuser" nicht an die Begünstigungen von § 35 Abs. 4 BauGB gebunden, sondern genießen die Privilegierung nach § 35 Abs. 1, wo als erstes gleich "land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb" aufgeführt wird.
Unter diese Privilegierung fallen auch Altenteilerhäuser (siehe nachfolgend) und "mitgezogene Nutzungen" wie "Ferien auf dem Bauernhof".
Abs. 1: Altenteiler/ Austragshäuser
Diese sind nur Gegenstand landwirtschaftlicher Betriebe, die absehbar auch weiterhin vom Hofnachfolger geführt werden. Die Ämter für Landwirtschaft bei den Landkreisen sind hier im Genehmigungsprozess zu Recht eng beteiligt. Sie sehen "Altenteilerhäuser" ohnehin kritisch; meines Wissens ist mindestens die Aufrechterhaltung des Betriebs im Haupterwerb erforderlich. Da Altenteilerhäuser nur eine Wohnung enthalten können, und in der Regel hier keine "Kinderzimmer" erforderlich sein werden, sind die Höchstgrößen von "Familienheimen" nach dem o.g. zweiten Wohnungsbaugesetz wohl nicht vom Bauherrn einzuklagen. Die Baugenehmigung gilt nur für die Teilhabe an der landwirtschaftlichen Privilegierung; eine Erweiterung über das mit dieser Baugenehmigung realisierte Haus wird wohl bereits im Genuss der Privilegierung schwierig.
In dem Augenblick, wo eine Hofstelle "entprivilegiert" ist, d.h. keine Landwirtschaft mehr betrieben wird, wird die Baugenehmigung als Altenteilerhaus funktionslos. Damit besteht zunächst Bestandsschutz, aber für eine formelle Funktionsänderung zur allgemeinen Wohnnutzung greift zunächst § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 "Nutzungsänderung" (und die kann an einem langen Leerstand scheitern!). Das weitere regelt sich dann wie für ein normales Wohnhaus nach § 35 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 "Erweiterung".
Abs. 2: Vorhaben im Außenbereich
§ 35 Abs. 2 besagt: "Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist." Dieser Absatz zielt auf Vorhaben, die nach Absatz 1 nicht privilegiert sind. § 35 Abs. 3 enthält eine nicht-abschließende Liste von Gründen, die ein sonstiges Vorhaben nach Abs. 2 ausschließen.
Die hauptsächliche Zielrichtung dieses Absatzes 2 ist sicher der vollkommene Neubau auf einem Außenbereichsgrundstück. Hier steht aber in den meisten Fällen bereits der in Absatz 3 an erster Stelle genannte Flächennutzungsplan entgegen, der eben keine Baufläche darstellt, sondern (meist) Fläche für die Landwirtschaft. Damit ist dann selbst bei sonst noch so überzeugenden Argumenten eine Bebauung (für nicht nach § 35 Abs.1 privilegierte Vorhaben) ausgeschlossen.
Allerdings gibt es durchaus Fälle, wo dann auch Wohnungsbau möglich ist, auch wenn das der Behörde sauer aufstößt. Hier sollte der Bauherr aber dann auch die maximalen Wohnflächen einhalten und beim Entwurf alles vermeiden, was nach späterer Erweiterung aussieht, wie einen ausbaubaren, aber noch nicht genutzten Dachraum.
Zu beachten ist, dass in Absatz 2 mit "können" und "Einzelfall" ein breiter Ermessensspielraum für die Baugenehmigungsbehörde eröffnet ist.
Abs. 4 Satz 1 Nr. 1: Nutzungsänderung
Bei § 35 Abs. 4 Nr.1 BauGB (Änderung der bisherigen Nutzung) sind die Buchstaben a bis g "kumulativ" zu sehen, das heißt, sie müssen alle zutreffen. Diese Nr. 1 trifft auf bewirtschaftete wie aufgegebene Landwirtschaftsbetriebe zu, weshalb im Buchstaben e) zur Verständlichkeit zu ergänzen wäre "mit der Hofstelle, auch des ehemaligen, ...".
Die Zahl der höchstens zulässigen Wohnungen in Buchstabe f) ist 2021 von drei auf fünf erweitert worden (ich kann nur vermuten: bestimmte Interessen einzelner Bundestagsabgeordneter aus ländlichen Wahlkreisen ...). Zur Größe von Wohnungen, Berücksichtigung von Wohnbedürfnissen, Familie ist in Abs. 1 nichts bestimmt.
Abs. 4 Satz 1 Nr. 2: Ersatzbau bei Baufälligkeit
Das Gebäude muss materiell-rechtlich legal sein, und die Misstände dürfen auch nicht Folge unterlassener Instandhaltung sein. Man kann also vermutlich von erheblichen Mängeln oder Missständen ausgehen, "die nicht von einem vernünftigen Eigentümer durch Modernisierung [behoben werden können]. Was Missstände oder Mängel sind, kann in Anlehnung an § 177 [BauGB] bestimmt werden. Dabei besteht - wenn die Überschreitung dieser Schwelle auch nicht zwingend erforderlich ist - ein enger Zusammenhang mit der (auch bauordnungsrechtlichen) Sicherheitsgefahr." (Spieß, in Jäde/ Dirnberger, BauGB, § 35 Rdnr. 133, S. 687; runde Klammern im Original)
Für das Vorhaben einschlägig wäre dann zunächst § 35 Abs. 4 Nr. 2 - Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle. Im Allgemeinen wird das pragmatisch so gehandhabt, dass der Neubau neben dem Altbau entsteht und spätestens sechs Monate nach Bezugsfertigkeit des Neubaus der Altbau abgebrochen wird.