"Gebäudetyp E" als Weg zu kostengünstigen, aber risikoarmen "Experimental"-Bauten?

  • Die Bundesarchitektenkammer als Zusammenschluss aller deutschen Architektenkammern propagieren seit einem knappen Jahr auf Initiative der bay. AK die Einführung eines "Gebäudetyp E" in das öffentliche und private deutsche Baurecht, auch ins BGB. Hier ist der Ansatz kurz erklärt, dessen sich die fachjuristische Welt im Rahmen des Baugerichtstages im Mai 2023 bereits angenommen hat.


    Was denkt die planende Kollegenschaft darüber? Kann so unter Beibehaltung der Schutzziele für Leib, Leben und Sachwerte nach besonderer Vereinbarung kostensparender gebaut werden? Welche Innovationen wären sofort möglich, was dürfte dabei aber auf keinen Fall nicht schief gehen?


    (Zur Beruhigung ängstlicher Laien: Vorerst würde diese Möglichkeit nur mit expliziten Vereinbarungen mit professionellen, also informierten Auftraggebern bestehen.)

    mit Gruß aus Berlin, der Skeptiker


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  • Skeptiker

    Hat den Titel des Themas von „"Gebäudetyp E" als Weg zu risikoarmen aber kostengünstigen Experimentalbauten?“ zu „"Gebäudetyp E" als Weg zu kostengünstigen, aber risikoarmen "Experimental"-Bauten?“ geändert.
  • Ich habe auch nach mehrmaligem Lesen nicht verstanden, was damit gemeint ist. Die Schutzziele der Bauordnungen (Zitat aus dem Link: "Grundsätzlich gelten die Schutzziele der Bauordnungen, vgl. § 3 (genauer in §§ 12-16): Standsicherheit, Brandschutz, gesunde Lebensverhältnisse und Umweltschutz.") sollen beibehalten werden.


    Stört man sich am Prüfingenieur?


    Eine Vereinbarung zu Abweichungen von den a.R.d.T. zwischen den am Bau Beteiligten ist doch jetzt schon möglich.

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    Gruß aus Oranienburg
    Thomas

  • Eine Vereinbarung zu Abweichungen von den a.R.d.T. zwischen den am Bau Beteiligten ist doch jetzt schon möglich.

    Ich habe es bei bisher erst oberflächlicher Lektüre so verstanden, dass damit auch Abweichungen von den öffentlichen, also wie man früher sagte "bauaufsichtliche eingeführten" Regeln möglich sind - "solange die Schutzziele der BauO trotzdem eingehalten werden". Ich verstehe das wie eine formal vereinfachte "Zustimmung im Einzelfall", wie es sie bisher auch schon gab, aber nur nach teurer Prüfung und Genehmigung. Genau an der Stelle zweifle ich etwas, ob der gewünschte Vereinfachungs- und damit Vergünstigungseffekt wirklich eintreten wird.

    mit Gruß aus Berlin, der Skeptiker


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  • Ich habe es bei bisher erst oberflächlicher Lektüre so verstanden, dass damit auch Abweichungen von den öffentlichen, also wie man früher sagte "bauaufsichtliche eingeführten" Regeln möglich sind - "solange die Schutzziele der BauO trotzdem eingehalten werden".

    Genau das ist heute schon möglich. Was soll also aufgeweicht werden? Brandschutz, Standsicherheit, gesunde Lebensverhältnisse (also z.B. Anforderungen an Wohnungen, Aufenthaltsräume, Schallschutz), Umweltschutz (z.B. GEG) nicht - was bleibt da noch übrig?

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    Gruß aus Oranienburg
    Thomas

  • Genau das ist heute schon möglich. Was soll also aufgeweicht werden? Brandschutz, Standsicherheit, gesunde Lebensverhältnisse (also z.B. Anforderungen an Wohnungen, Aufenthaltsräume, Schallschutz), Umweltschutz (z.B. GEG) nicht - was bleibt da noch übrig?

    Ich weiß es nicht. Ich habe mir von meiner Frage hier erhofft, dass sich schon jemand intensiver mit diesem Thema auseinandergesetzt hat und etwas mehr weiß. Ich werde die nächste längere Bahnfahrt für die eigene Auseinandersetzung nutzen müssen. Mir scheint das Thema momentan für unsere Ausfürhungsplanungen relevanter zu sein, als BIM. Wir haben momentan zwei Projekte, in denen es mehrere teilweise Haftungsbefreiungen für Fachplaner und / oder uns gibt und ich habe den Eindruck, dass dies zukünftig öfter vorkommen wird.


    Mir ist bisher allerdings nicht klar, ob die initiierenden Kollegen aus einigen sehr bekannten Büros dabei an solche kleinen Projekte denken, wie wir sie in diesen Fällen bearbeiten oder aber an aus meiner Perspektive "riesige" Projekte mit vielen 10.000 m2 BGF für eine renditeträchtige Nutzung, oder "Sonderbauten", in denen auch bisher schon die ZiE kein wirkliches Problem waren, weil ihre Kosten im Gesamtvolumen einfach untergingen. Schon beim EFH kann mich mir den "Gebäudetyp E" nur bei wirtschaftlich potenten, sehr energischen, entscheidungsfreudigen und risikobereiten Bauherren vorstellen, nicht bei einem durchschnittlichen individuell geplanten Objekt, welches die Auftraggeber schon ohne Komplikationen an den Rand ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bringt.

    mit Gruß aus Berlin, der Skeptiker


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  • Die Abweichung von einer aaRdT darf nicht mehr allein einen Mangel begründen. Es muss vor Gericht dargelegt werden, dass die Abweichung die Ursache für einen tatsächlichen Schaden oder die Gefahr eines Schadens ist.

    Die Umsetzung dieser Empfehlung des Baugerichtstages würde von Planern und Ausführenden auf höchstes Wohlwollen stoßen, wäre damit doch der äußerst haftungsrelevante Mangelbegriff weitestgehend aus der Welt, d.h. ohne Schaden kein Mangel. Super!

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    Gruß aus Oranienburg
    Thomas

  • Die Umsetzung dieser Empfehlung des Baugerichtstages würde von Planern und Ausführenden auf höchstes Wohlwollen stoßen, wäre damit doch der äußerst haftungsrelevante Mangelbegriff weitestgehend aus der Welt, d.h. ohne Schaden kein Mangel. Super!

    Bei Handwerker würde diese Trendwende auf noch viel mehr Begeisterung stoßen - und erst bei den Versicherern!


    Die ausführliche technische Herleitung einer solchen Trendwende findet sich so auch in einem langen Artikel von Matthias Zöller in der aktuellen Ausgabe 3/2023 von "Der Bausachverständige" ab dessen Seite 56 (der Link führt nur zu einer stark gekürzten Fassung des eigentlichen Artikels). Er stellt in Abkehr von der bisherigen Mehrheitsauffassung der juristischen Fachwelt, aber auch derer der technischen Sachverständigen, die These auf, dass eine Nichteinhaltung der a.R.d.T. / a.a.R.d.T. (da haben wir sie wieder, die alte Diskussion) nicht zwingend einen Mangel begründet. Deshalb sei das alleinige Abstellen von Gerichts-SV auf die Einhaltung der (a.)a.R.d.T. in ihren Gutachten nicht ausreichend. Ein Dogma, dem ich bisher auch aus Überzeugung anhänge, weil es die Beurteilung eines Mangels aus der Beliebigkeit der "Erfahrung" der begutachtenden Person herausnimmt, welche meines Erachtens weder belegbar noch damit überprüfbar ist. (Der juristischen Herleitung von Motzke, auf welcher er ansetzt, konnte ich bisher noch nicht folgen, weil ich sie nicht fand. Ich bin auch sehr überrascht, weil ich von Motzke persönlich noch vor einigen Jahren ein ganzes Wochenende lang das Gegenteil eingetrichtert bekam.)


    Eine sehr interessante Debatte ist hier jedenfalls entfacht worden!

    mit Gruß aus Berlin, der Skeptiker


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  • Die ausführliche technische Herleitung einer solchen Trendwende findet sich so auch in einem langen Artikel von Matthias Zöller in der aktuellen Ausgabe 3/2023 von "Der Bausachverständige" ab dessen Seite 56 (der Link führt nur zu einer stark gekürzten Fassung des eigentlichen Artikels).

    Wenn man sich die von Dir verlinkte Zusammenfassung des Artikel durchliest, kommt IMHO allerdings sofort die Frage auf, in wie weit sich der Autor der Zusammenfassung (bzw. des eigentlichen Artikels) mit dem Entstehungsprozess einer Norm befasst hat bzw. befassen konnte. Zumindest im Bereich der Tragwerksplanung entstehen Normvorschriften zum Teil basisdemokratisch, da die Vorschriften der Norm selbst eben gerade nichts direkt mit den "Grundsätzen von Naturwissenschaften" zu tun haben.

    In der Tragwerksplanung/Statik folgt die Ermittlung der Schnittgrößen und auch der Spannungen grundsätzlich schon den Gesetzen der Physik; die entsprechenden physikalischen Gesetze lassen sich ja alle belegen. Anders sieht es aber aus, wenn die Sicherheiten, die die Norm auf der Belastungsseite und der Widerstandsseite festlegt, ins Spiel kommen. Betrachtet man z. B. Baustahl, so beruhen die Streckgrenze und die Zugfestigkeit des Materials, afaik, auf physikalischen Gesetzen. Wie weit ich diese "natürlichen" Eigenschaften bei der Bemessung jedoch ausnutzen darf, ist eine basisdemokratische Angelegenheit; maßgebend ist hierbei die (gesellschaftlich wichtige) Frage, wie groß das Risiko sein darf, dass ein Gebäude aus Stahl einstürzt. Das hat mit Naturgesetzen nichts zu tun, umso mehr aber mit der Frage, welche Preis eine Gesellschaft bereit ist zu bezahlen, einerseits für die Kosten, die durch den Einsturz selbst entstehen (das Gebäude müsste ja ersetzt werden) und andererseits für menschliche Schäden (bis hin zum Tod), die durch den Einsturz auftreten. Damit lässt sich auch erklären, warum die Teilsicherheitsbeiwerte trotz Harmonisierung der Normen innerhalb der EU (Eurocodes) national festgelegt werden dürfen.

    Ähnliches gilt doch auch z. B. bei Normen, die sich mit dem Wärmeschutz beschäftigen. Während der Wärmeverlust einer Gebäudehülle den Naturgesetzen folgt, ist die Frage, wie hoch dieser sein darf, eine basisdemokratische Frage. Die Gesellschaft muss sich fragen, welchen Energieverlust (inkl. der daraus entstehenden Kosten für Heizung) sie tolerieren will bzw. mit Hinblick auf den Klimawandel tolerieren kann. Auch da können unterschiedliche Gesellschaften zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, was in unterschiedlichen Anforderungen in den entsprechenden Vorschriften führt.

    Insofern kann ich den Ausführungen in der von Dir verlinkten Zusammenfassung nicht wirklich folgen. Mag sein, dass dies im eigentlichen Artikel besser herausgearbeitet wird.

    Der Bauende soll nicht herumtasten und versuchen. Was stehen bleiben soll, muß recht stehen und wo nicht für die Ewigkeit doch für geraume Zeit genügen. Man mag doch immer Fehler begehen, bauen darf man keine. (Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre)


    Rings um euch liegt die weite Welt: Ihr mögt euch einzäunen, aber euer Zaun wird sie nicht fern halten. (J.R.R. Tolkien, Derr Herr Der Ringe, Erster Teil: Die Gefährten)

  • Wenn man sich die von Dir verlinkte Zusammenfassung des Artikel durchliest, kommt IMHO allerdings sofort die Frage auf, in wie weit sich der Autor der Zusammenfassung (bzw. des eigentlichen Artikels) mit dem Entstehungsprozess einer Norm befasst hat bzw. befassen konnte.

    Laut der nebenstehenden Autorenbiographie gehört er den Arbeitsausschüssen zur DIN 18531, zur DIN 18533 und zur DIN 4095 an und hat an der 18334 mitgearbeitet.


    Den inhaltlichen Teil Deines Posts muss ich erstmal in Ruhe lesen - die S-Bahn wartet schon (nein, wartet nicht, aber ich muss zu ihr).

    mit Gruß aus Berlin, der Skeptiker


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  • Ich glaube nicht, dass das was bringen wird. Das widerspricht der Deutschen Mentalität. Wir haben Normen und an diesen Normen klammert man sich fest wie im Mittelalter an die Bibel. Der Vergleich in dem Artikel mit anderen Ländern spricht doch Bände. Wir haben die fettesten, aufwendigsten und teuersten Konstruktionen in ganz Europa. Ach was sage ich da, ganz Europa? Nein, auf der ganzen Welt. Wir denken wie Industrieingenieure: Alles muss perfekt und wie geleckt aussehen, als käme das ganze Haus direkt aus dem Fließband in einer hermetisch geschlossenen und sauberen Fabrikhalle.


    Man kann daran nur etwas ändern, wenn man die Normen ändert. Man bräuchte mehrschichtige Normen mit steigender Qualität. Bei der Bestellung ordert man dann die Normen-Klasse A, B oder C und somit den Qualitätsstandard und somit auch den Aufwand und die Kosten. Dafür nimmt man im Schallschutz und andere Nachteile in Kauf, wenn man damit leben kann. Und die Mietkosten richten sich dann am Qualitätsstandard. Wer z.B. nicht mit einem niedrigeren Schallschutz leben kann, muss eben tiefer in die Tasche greifen, ob in Sachen Miete, oder eigenem Hausbau.


    Aber ich glaube nicht daran, dass wir in Deutschland das schaffen. Das geht einfach nicht. Das widerspricht allen Naturgesetzen, die für uns gelten. Somit kann man nur durch Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen. Alles andere ist nur Wunschdenken, Sience Fiction.

    Du musst immer einen Plan haben. Denn wenn Du keinen hast, dann wirst Du Teil eines anderen Planes...